Kapitel 18 – Der weiße Mönch


Dieser Part stellt im ersten Band einen von denen dar, in dem viele versteckte Botschaften und Hinweise für Suchende enthalten sind. Eine Fülle von Episoden reiht sich aneinander, das erste von vier Rätsel-Gedichten in der Roman-Trilogie ist eingeflochten und so mag die Hintergrundbeleuchtung besonders lohnen.

Der erste Teilabschnitt schafft zunächst Klarheit in der Frage, die möglicherweise den Leser im Zusammenhang mit der Handlung im Steinbruch umtreibt. Aurelia und Adalwin sind glücklich aus der Anderwelt entronnen und werden nicht zufällig dahin gerufen, wo die Beinahe-Katastrophe ihren Anfang nahm. Wir erinnern uns: Das Einhorn fungiert unter anderem als Coach der geistigen Entwicklung für die Drachenkriegerin, zudem als Überbringerin von Botschaften bzw. Mittlerin der Planetenwesen.

Den Anblick des verheerten Dorfes, ihrer zerstörten Heimstatt und belanglose Kontakte zu den Einwohnern erspart sich das Duo besser, die Melancholie schwängert auch ohne Kriegszeugnisse die Luft. Das Grab der Eltern bildet zum zweiten Mal den Ausgangspunkt für den Jüngling vor einer wichtigen Etappe. Nunmehr startet für ihn die große Reise zu sich selbst. Der nächtliche Treff bedeutet eine Zäsur und beinhaltet den endgültigen Abschied aus der Kindheit für den Adoleszenten.

Im Gegensatz zu manch anderen Völkern pflegen die Alamannen die Erdbestattung, während andernorts der Leib den Flammen überantwortet wird. Mit der Vernichtung der physischen Überbleibsel im Feuer können sich die geistigen Anteile unserer gesamten (unsterblichen) Existenz rascher lösen. Anders ausgedrückt: Solange die fleischlichen Reste nicht vollständig verblichen sind, kleben Teile unseres Wesens an ihnen fest, was die Reinkarnation erschwert. Darin scheint mir zugleich der Zusammenhang zwischen dem von Seiten der Kirche her favorisiertem Begraben des Leichnams und der von ihr geleugneten häufigen Geburt in anderem Gewand zu liegen. Es vergrößert die Distanzen von einer Wiederkehr auf die nächste. Die nachfolgende Generation soll ebenfalls schon unter der Grasnarbe ruhen.

Welche desaströsen Wirkungen Grüfte, Einbalsamierungen oder gar aus Herrschern herausoperierte Herzen samt örtlich separierter Grablege nach sich ziehen, welchen Einfluss sie auf den Genpool eines Volkes haben, darüber kann unter diesem Blickwinkel ruhig philosophiert werden. Und aus spiritueller Sicht ist Organspende aus genanntem Grund ebenso keine allzu gute Idee, weder für den Spender noch für den Empfänger. Erstens muss der Korpus des Hirntoten am Leben sein, damit die Niere, Leber oder was sonst benötigt wird, entnommen werden kann und erst im Moment des Herausschneidens tritt der wirkliche Exitus ein. Ein Teil des Verschiedenen verbleibt in einem anderen Körper lebendig und bildet somit just ein Hindernis für die Seele, sich komplett zu verabschieden. Zweitens erweist sich für den Abnehmer der Eingriff keineswegs als nebenwirkungsfrei. Unzählige Beispiele belegen Wesensveränderungen infolge des Empfangs eines fremden Implantats. Und drittens ist, wer da glaubt, bei einem hohen Nachfragedruck, wie er postuliert wird, lässt sich Missbrauch wirksam vermeiden, schlichtweg ein Narr. Mir fallen da spontan Dinge ein wie der Film „Fleisch“ oder Karl Marx´ berühmter Spruch: Bei 50 Prozent Profit drückt das Kapital beide Augen zu, bei 75 Prozent wird es kriminell und bei 100 Prozent Profit geht es über Leichen (ich weiß, derart hübsch und trivial hätte es der Verfasser des „Kapital“ nie formuliert, das Original-Zitat liest sich ein wenig komplizierter und an der Fundstelle wird von 300 Prozent! gesprochen). Es darf spekuliert werden, weshalb in Deutschland gerade neuerlich die Werbetrommeln gerührt werden, freilich wie stets unter dem Deckmantel der Menschlichkeit und Nächstenliebe.

Zurück zu Adalwin: Für ihn entpuppt sich der Brauch der Bestattung als hilfreich, da es ihm so nicht schwerfällt, die Verbindung zu erspüren, die ihm zur Quelle der Beruhigung gerät. Ihm offenbart sich an dieser Schwelle zur Ewigkeit, dass ihn in den astralen Gefilden lediglich ein Trugbild narrte, die Seele seiner Mutter dagegen wohl geborgen ist.

In der Einsamkeit der Nacht erscheint Monahora und knüpft an ihre Rolle als Behüterin und Leiterin der Drachenkriegerin an. Zunächst rankt sich das Gespräch um die Aussage, mit der sich das Einhorn seinerzeit vor den Heiligen Bergen von Aurelia getrennt hatte. Für mich ist es ein zentrales Thema, das ich trotz vielen Nachdenkens noch immer nicht entwirren konnte: das Verhältnis von Schicksal, Vorsehung und Bestimmung.

Ein wiederholtes Mal habe ich dazu Anleihe aus dem in unserer Familie sehr beliebten Zeichentrickfilm „Kung-Fu-Panda“ aus den Weisheiten von Meister Ookway genommen. Eine der griffigen Übersetzungen des von mir gemeinten Zitats lautet: „Oft begegnet man seinem Schicksal auf ebenjener Straße, die man einschlägt, um es zu vermeiden.“ Ob die Hollywood-Künstler die Erfinder dessen waren, darf getrost bezweifelt werden, wird doch dem französischen Fabeldichter und Novellisten Jean de La Fontaine (1621 – 1695, gemeinhin bekannt als der Erneuerer der Fabel) der Satz zugeschrieben: „Das Schicksal ereilt uns oft auf den Wegen, die man eingeschlagen hat, um ihm zu entgehen.“

Meine zweite Variation des Bonmots lautet, vorgetragen von der Fabelgestalt: „Seiner Vorsehung kann niemand entfliehen. Dem Menschen begegnet sie, und sei es auf dem Pfad, den er einschlägt, um ihr auszuweichen.“ Im Weiteren verdeutlicht die Sendbotin Merkurs, dass die Jugendlichen immer im Fokus ihrer Gegenspieler stehen werden und angesichts der latenten Gefahr die Flucht nach vorn das beste Mittel ist.

Der Friedhof bildet zudem die Kulisse, in der die Jugendlichen in vagen Umrissen den Weg bis vor das Drachenschloss gewiesen bekommen, von den drei für die Saga namensspendenden Diamanten erfahren und sich gegenseitig mit wundersamen Gegenständen beschenken, was ein Ausdruck dafür sein soll, wie befruchtend für beide ihre Beziehung bisher gewesen ist. Jeder der Partner partizipiert von den Dingen, die der andere für sich erlangt bzw. erobert hat.

Welche Funktion die drei Edelsteine haben, wurde von mir bereits früher ausführlich erläutert (siehe „Zu den Diamanten in der Trilogie“). Kurz zusammengefasst: Sie symbolisieren drei wesentliche Fähigkeiten, die von den Halbwüchsigen erworben werden müssen. Allerdings ist unter den Einhörnern nicht alles bekannt, was sich für Zauberkräfte in den Kristallen verbergen. Ein wenig Überraschung wollte ich für den Leser offenhalten.

Sodann müssen die Liebenden sich voneinander lösen. Das weiße Sagengeschöpf garniert die unerfreuliche Kunde mit einem tröstlichen Präsent und einem Ritual, bei welchem dem Literaturfreund aufs Neue die Verbindungssteine von Venus begegnen. Adalwin, in dessen Vorleben als Gundehar diese magentafarbenen Kristalle eine bedeutsame Rolle spielten, wird durch diese in einem weiteren Bund liiert. Weiße Magie wird benutzt, um für das Paar eine tröstliche Brücke über die Kluft der Entfernung zu spannen, indem die Kraft der Erinnerung an den Auserwählten bestärkt wird.

Als letztes in der Szene wechseln die Silberpfeile und das Wundertuch Nastasias die Besitzer und befruchten damit künftige Handlungsstränge, die im „Blauen Brillanten“ vertieft werden.

Die Geschichte folgt nach der Trennung zunächst der Hauptperson. Diese überlässt sich zunächst ganz ihrer vierhufigen Mentorin und die Handlung verschlägt die beiden in die Ferne, zunächst an das Meer am Ende des Flusses. Im Hafen bewährt sich Germalias Geschenk als nützlich, denn Aurelia gelingt es mit dieser Eichel einen Landsmann aufzuspüren, der ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Der Kapitän eines Schiffes gestattet ihr samt dem Pony die Passage ins Morgenland, nachdem ihm die Trostgabe des Hüterwesens Alamanias Absolution verschafft hat. Eine unglückliche Liebe mündet plötzlich in Gewissheit und Vergebung.

Auf dem Segler wird die blonde Maid erstmals mehr in den aktiven Part gedrängt. Sie erfährt von ihrer behuften Begleiterin, dass sie zu einem Meister der Waffenkunst unterwegs sind, dem weißen Mönch, den aufzuspüren aber Teil ihrer Aufgabe ist. Das Einhorn kennt nicht die Details, bestärkt ihr Mündel allerdings dabei, Vertrauen in die eigene Kraft zu entwickeln. Sich auf den Weg zu begeben ist die halbe Miete. Die auf das Ziel gerichtete Energie entfaltet die notwendige Schöpferkraft, um es zu erreichen – das ist die eine Botschaft, die ich vermitteln wollte.

Die andere: Gute Pädagogen wirken genau in diesem Sinne. „Hilf mir, es selbst zu tun!“ So lautet das Motto der Montessori-Schulen. Meine Frau war es, die sich von diesem Gedanken hat einfangen lassen und mit etwas Glück hatte es sich seinerzeit gefügt, dass sich unserer jüngsten Tochter ein Tor dorthin aufgetan hatte. Für meinen Teil muss ich gestehen, zunächst etwas Mühe mit den Ansichten und Ausdrucksformen dieser anderen Erziehungsmethoden gehabt zu haben. Gleichwohl bin ich recht schnell vom Saulus zum Paulus geworden, denn bis heute betritt das Kind früh mit einem Lächeln die Schule und kommt des Nachmittags genauso nach Hause.

Weil es so treffend ist, soll das Zitat Maria Montesorris (1870-1952) hier vollständig eingeflochten sein: „Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.“

Nachdem Aurelia das Land der Wüsten erreicht hat, begegnet ihr der zweite Kandidat für Germalias Eichel. Vorher gilt es für sie, sich in Geduld und Vertrauen zu üben. In der Ecke der Karawanserei spricht sie endlich ein Schmied an, den seine blauen Augen als Landsmann identifizieren. Er ist der Typ des abgebrühten Weltenbummlers, den das Prinzip von gegenseitiger Leistung geprägt hat. Sein Beharren auf einem monetären Ausgleich für eine Handreichung verrät, ihm würde das Ausnutzen der Hilflosigkeit des weitgereisten Mädchens keine Gewissensbisse bereiten. Das verleiht ihm eine wenig sympathische Ausstrahlung, aber die Sucherin bleibt hartnäckig, lässt sich nicht von ihren Gefühlen ablenken.

Für den entlaufenen diebischen Sohn verwandelt sich die Eichel in die Holzschmuckdose seiner Mutter, die eine Botschaft der Versöhnung von seinen Eltern enthält. Sein Davonlaufen vor sich und seiner Bestimmung wird beendet. Die alles verzeihende Elternliebe bringt dem Mann Erlösung und führt ihm vor, dass Böses mit Gutem vergolten werden kann. Das veranlasst ihn zum Umdenken und er kristallisiert sich als Glückstreffer insofern heraus, da er den gesuchten Karwan-Baschi kennt und den Kontakt knüpft.

Bei anderer Gelegenheit (siehe die Kommentare zu Kapitel 13 „Aurelia und Adalwin verlieren sich (Alamania in Not)“) hatte ich schon erwähnt, dass die Gaben Germalias einen späteren Einschub in das ursprüngliche Kolportage-Märchen für meine Jüngste darstellen, eingefügt vor allem, um das Motiv des alten Mannes zu erhellen, weswegen dieser Aurelia zum weißen Mönch geleitet und das mit einer Selbstaufopferung krönt. Der geläuterte Räuber weiß bereits durch die Prophezeiungen des geheimnisumwitterten Einsiedlers um die Art, wie ihm Vergebung gewährt werden kann. Ihm genügt es, sich davon zu überzeugen, die Richtige getroffen zu haben und damit die Chance zu erhalten, seine Untaten zu sühnen. Da er darin eingeweiht ist, dafür sein Leben preisgeben zu müssen, fehlt die Episode mit der Verwandlung der Frucht des Eichbaums in seiner Hand, verbunden mit einer Geschichte aus seiner Jugend. Der Leser kennt die Story bereits durch die Erzählungen des Schmiedes und die Auflösung erfolgt später, indem sich der Geleitmann der Drachenkriegerin den am Wasser lauernden Raubkatzen zum Fraß anbietet.

Wer etwas erreichen will, dem bleibt die Mühsal der Ebene nicht erspart. Vor der Meisterschaft müssen viel Fleiß und Disziplin aufgebracht werden. Es gilt, bis an und über die Grenzen vorzustoßen, wofür manchmal innere Ängste und Blockaden zu besiegen sind. Genau dafür steht symbolisch Aurelias Weg durch die Einöde. Diese wechselt von der Sand- zur Stein-Wüstenei, ändert quasi ihr Gesicht, nicht ihren abweisenden Charakter, fordert zu höchster Anstrengung heraus und hält mit der schwankenden Brücke über dem Abgrund eine Schikane zur Selbstüberwindung bereit. Trotz des Beispiels des Vorausgegangenen kann der Literaturfreund an dieser Schilderung hoffentlich nachvollziehen, wie schwer sich die junge Frau tut, die schwankenden Bretter unter sich zu beschreiten. Auf der anderen Seite winkt dann die Oase, ein erster Zwischenschritt des Erfolgs.

Die Freude dauert nicht lange, denn die Quelle wird von einem Rudel Löwen umlagert. Aurelia folgt der Aufforderung ihres altersmüden Landsmannes, der einen Pfad kennt, welcher von einer Granitstele verstellt wird, und flieht in den Berg bzw. in Gaias Obhut.

Hier bietet sich an, auf zwei Reminiszenzen aufmerksam zu machen, die sich in der Szene verstecken bzw. mich inspiriert haben. Zum einen verweist die Verwendung des aus der Mode gekommenen und heute zu gräulich (von Grauen) umgedeuteten Wortes auf Schillers „Handschuh“. „Und herum im Kreis, vor Mordsucht heiß, lagern die greulichen Katzen“. Zum anderen ist es der verborgene Weg in den Felsen hinein eine Erinnerung an den Film „MacKenna´s Gold“, der mich als Junge beeindruckt hat (insbesondere Hesh-Ke). Dort war es der Schattenwurf einer Felsnadel, welcher den geheimen Weg enthüllte.

Das Aurelia mit auf ihre irdische Mission gegebene Kästchen bewährt sich ein weiteres Mal als Lichtspender. Dank dieser Hilfe gelingt der Maid unbeschadet die Flucht vor dem Rudel hungriger Katzen. Allerdings endet der Marsch durch die Höhlen in einem steinernen Trog der Trostlosigkeit und Dürre. Das Mädchen wird an ihr Limit gedrängt. Zwar deutet die nonkonforme Tür in der Wand auf menschliches Wirken hin, allerdings erweist sie sich zunächst als unnütz und unzugänglich. Fast in Panik reißt sich die Jungfrau zusammen, gedenkt ihres Geliebten und eines weisen Spruches, der einst über dem Bett meiner ersten (platonischen) Freundin prangte: Die beste Brücke zwischen Hoffnung und Verzweiflung ist eine gut durchschlafene Nacht.

Für unsere Heldin scheint tags darauf dennoch das Ende im Felsentrog zu nahen. Man ahnt förmlich, dass vor ihr eine Schallmauer dräut. Welch riesige Hürde sie überspringen muss, wird daran sichtbar, was alles zusammenwirkt, damit ihr das Kunststück glückt: der Zauberspiegel der Mutter, der Hinweis ihrer geistigen Beraterin, das Passieren der Schwelle zum Tod, auf der ihr der Abschied vom Essen-und-Trinken-Müssen gelingt und endlich der Zugriff auf ihr mysteriöses Mitbringsel von dem Planeten, auf dem sie geboren wurde. Woher stammten die Ideen für den Ablauf?

Nun, zunächst soll der Leser in den merkwürdigen Zeichen, welche das Einhorn zu übersetzen vermag, die ägyptischen Hieroglyphen identifizieren. Dies mag als Hinweis zu diesem Zeitpunkt reichen. Bei der Kommentierung des dritten Bandes wird reichlich Gelegenheit sein, auf die Verflechtung der von uns vorgefundenen Zeugnisse einer verblichenen Hochkultur und den Atlantern, die ich für die wahren Erbauer halte, einzugehen.

Zu der Szene mit der Pforte hatte mich die gelungene Visualisierung einer ähnlichen Situation von Peter Jacksons „Die Gefährten“ (Teil 1 von dem Film-Opus „Der Herr der Ringe“) angeregt. Bevor die illustre Truppe aus Menschen, Elben, Zwergen und Hobbits in die Minen von Moria gelangt, muss zum Öffnen der Tür von Durin ein Rätsel gelöst werden. Im Mondlicht erscheinen die Symbole samt der Sindarin-Inschrift und es gelingt im zweiten Anlauf (im Kino Frodo, im Buch Merry mit Gandalf), die doppeldeutige Botschaft zu dechiffrieren.

Selbstverständlich habe ich das Geschehen etwas variiert. Die Zeichen sind augenscheinlich sofort erkennbar, bloß in einer Sprache geschrieben, die der jungen Frau nicht geläufig ist. Ihre Begleiterin hilft ihr aus der Patsche. Erst, als ihr wundersames Kästchen aufspringt, unterstreicht die Illumination der Hieroglyphen den bedeutsamen Moment. Dazu fügt sich ein weiteres Element an: die Reimform. Dazu sollen ein paar Bemerkungen folgen.

Wie eingangs erwähnt, enthält die Trilogie in Summe vier Rätselgedichte. Alle dienen dazu, für das Aufbrechen einer Schranke, das Knacken eines Hindernisses oder das Sprengen einer Barriere die Andeutungen der Bewohner von Aurelias Heimat kundzutun, welche den Drachenkriegern die benötigten Tipps zuteilwerden lassen, ohne ihnen das Denken abzunehmen. Zweimal erhält Aurelia den Anschub, die beiden anderen Poeme im dritten Band helfen dem Pärchen.

Die Lyrik einzuflechten geschah eher beiläufig. Es ergab sich jeweils unaufgefordert und es dauerte nie länger als dreißig Minuten, bis die Verse im Groben auf dem Papier standen. Wie ich bemerken konnte, dass mir Euterpe und Erato gelegentlich zulächeln, habe ich schon einmal im Blog verraten (siehe: „Wo und wie schreibt man einen Fantasy-Roman?“). Es begann spontan an der Uni und endete mit einer Initiativstrafe als Haus- und Hofdichter des Institutes für Hochspannung und Hochstromtechnik zu den frivol-fröhlichen Doktorfeiern. Seither habe ich sporadisch zum Poetenwerkzeug gegriffen, für diesen und jenen Anlass, hauptsächlich für die Kinder. So passierte es auch bei dieser Episode, als sich meine Gedanken darum drehten, einen effektvollen Durchbruch zum weißen Mönch zu kreieren.

Als letztes im Potpourri der Szenerie vor dem Granit-Tor folgt die Beschreibung einer Grenzerfahrung, eines Rendezvous mit dem Tod. Die andere Seite zumindest erspürt zu haben, ist für alle Schamanen unabdingbar, anders lässt sich der Kontakt zur Geistersphäre nicht knüpfen. Wer einmal „über den Gartenzaun geblickt hat“, gewinnt mehr Sensibilität für das Übernatürliche und verliert die Angst vor dem Schnitter. Für die Verdeutlichung dieser Reise vermochte ich aus dem eigenen Erinnerungsreservoir zu schöpfen, was ich einem Beinahe-Zusammenbruch auf einer Dienstreise zu verdanken habe. Vieles von dem, was Frau Dr. Elisabeth Kübler-Ross in ihren Büchern geschildert hat, durfte ich auf diese Art bis hin zur Beobachtung des eigenen liegenden Körpers verifizieren.

Ausgedörrt beginnt für Aurelia in der Meditation die Retrospektive auf ihr Leben, durcheilt sie die volle Palette aller Emotionen und hat ihr Sterbeerlebnis, welches für sie zudem die Abtrennung von der irdischen Nahrung markiert. Sie lässt alles los, schlägt in ihrer Vision/Halluzination zweimal die (Todes-)Glocke, gelangt ins Nichts und wird auf der Schwelle zum Jenseits von ihrem Kästchen gerettet, das justament spontan aufspringt. Dies ist dem weißen Mönch das erhoffte Signal und das Portal in der Mauer erweist sich letztlich als passierbar.

Aurelia ist beim geheimnisumwitterten Eremiten eingekehrt, der seit Langem auf sie wartet, um ihre Kampfausbildung zu übernehmen. Kenner des Zweiteilers von Quentin Tarantino mit dem Titel „Kill Bill“ werden das Motiv durchschimmern sehen, mit dem ich hier gespielt habe. So wie Uma Thurmann für mich dem Phänotyp von Aurelia sehr nahekommt, habe ich mich beim Äußeren ihres Lehrmeisters und einem Übungsziel ihres Trainings an das Kapitel 8: „Die grausame Lehre des Pei Mei“ angelehnt. Ein unmöglich scheinendes dickes Brett muss aus kurzer Distanz mit einem Speer durchbohrt werden, was der Maid zum Abschluss ihrer Lehre im Töten gelingt.

Ein zweiter meiner Lieblingsfilme stand Pate: Uli Edels „Die Nibelungen“, nicht ohne Grund, wäre doch Kristanna Loken in jungen Jahren die Aktrice meiner Wahl für die Besetzung der Hauptrolle in einer Verfilmung meines Romans gewesen. Im Plot dieses Opus findet sich darüber hinaus ebenso das Motiv, wonach Schwert und Speer der Haupthelden aus dem gleichen Metall eines Meteoriten geschmiedet wurden, was ihre besonderen Eigenschaften (das grüne Schimmern sowie die unvergleichliche Schärfe und Festigkeit) und die Zusammengehörigkeit erklären soll. Den Balmung, die Waffe Siegfrieds mit ähnlichen Attributen, fertigen in der Sage allerdings kundige Zwerge.

Als letztes erwähnenswertes Detail möchte ich den Abgesang des Kapitels beleuchten. Da ich die Fantasy-Trilogie seinerzeit ohne Plan und mehr spontan begonnen hatte, (siehe dazu: „Wie alles entstand“), fehlte mir demzufolge logischer Weise noch ein zündender Schlussakkord des Werkes. Zu der Zeit, als dieser Abschnitt entstand, schwebte mir vage ein Ende vor, in dem die Abfolge der geflügelten Despoten in der Vorzeit dadurch geprägt wurde, aus ehemaligen Drachenkämpfern zu mutieren. Meine Idee lautete damals: Aurelia würde es erstmals gelingen, der Versuchung der Macht zu widerstehen und diese freiwillig abzulehnen. Daher die Andeutung des weißen Mönches bei der Verabschiedungsszene seiner Elevin.

Nun, wer meine Bücher gelesen hat, weiß um das anders gestaltete Finale. Nichtsdestotrotz habe ich den Absatz nicht gestrichen, obwohl er keine wirkliche Aussage durch die Trilogie erfährt. Vielleicht packt mich später wieder die Lust am Autoren-Dasein und die Andeutungen erhalten eine Untersetzung. Außerdem ist der Befund allgemeingültig. Das schlimmste Untier wohnt in uns selbst. Erst, wenn wir das erkennen und es besiegen, können wir zum göttlichen Menschen werden.