Wie und wo schreibt man einen Fantasy-Roman?


In meinen vier Jahren als Assistent des Instituts für Hochspannungs- und Hochstromtechnik an der TU Dresden (heute heißt die Einrichtung Institut für Elektrische Energieversorgung und Hochspannungstechnik der Technischen Universität Dresden, kurz: IEEE) hatte ich mir gleich in den ersten Monaten eine klassische Initiativstrafe eingebrockt. Zur Feier eines frischgebackenen Doktors war es seinerzeit üblich, für den Delinquenten ein Gedicht zu schreiben, in dem dieser samt seinem Forschungsthema gepriesen und zugleich veräppelt wurde. Der ältere Kollege, der sich damals mit mir das Arbeitszimmer teilte, fiel mir eines Morgens auf, wie er zum Fenster rausstarrte und irgendwann genervt zu jenem Ort aufbrach, den auch der Kaiser zu Fuß besuchte. Vorher klärte er mich auf, was er denn gerade tat. Er versuchte sich als Goethe-Nachwuchs und hatte bloß noch drei Tage Zeit. Kaum war er aus dem Zimmer, konnte ich mich eines neugierigen Blickes auf sein Blatt nicht enthalten und der verriet mir: außer der ersten Zeile stand da nichts drauf. Was soll ich sagen und warum erzähle ich das? Innerhalb der folgenden zehn Minuten krakelte ich die Reime auf das Papier, die mir prompt für alle weiteren Feiern einen neuen Job einbrachten. Und die Fabel der Geschichte? Alle Spott-Gedichte der nächsten Jahre entstanden in der gleichen Weise. Irgendwann kam der Moment. Nach einem Bier, in der Badewanne oder einfach am Frühstückstisch. Wenn der Fluss einsetzte, dauerte es bloß ein paar Minuten und die Verse waren geschlossen.

Wissend um dieses Phänomen, war mir eins klar: Nachdem ich beschlossen hatte, das Kolportage-Märchen für meinen blonden Engel in einen spirituellen Fantasy-Roman für Erwachsene umzuwandeln: Wenn ich etwas Künstlerisches schreiben wollte, brauchte ich Freiraum im Kopf und Abstand vom sonstigen Alltag. Meine Frau konnte dem Gedanken folgen und ermunterte mich, insbesondere nachdem wir auf einem Seminar mit Egon Martens gewesen waren und ich dort, welch ein Zufall, die Karte mit dem Erzengel Gabriel zog, auf der zudem noch draufstand, ich sollte der kreativen Seite in mir mehr Raum geben. Wer mehr über die Erzengel, ihre Farben und Aspekte wissen will, der kann sich im Internet leicht informieren. Ein paar Beispiele seien hier gegeben: [http://www.muenchen-engel.de/engelfarben.html und http://www.astrolymp.de/engelkarte-gabriel/].

Das Refugium für mich zu finden, war relativ einfach. Durch meine berufliche Tätigkeit war ich öfter in Thüringens Kleinstädten unterwegs gewesen. Mühlhausen hatte sich dabei besonders in mein Herz gebrannt. Dieser Ort hat die längste noch erhaltene Stadtmauer aus dem Mittelalter, auf engstem Raum dreizehn meist gotische Kirchen und mittendrin ein idyllisches Hotel, das Brauhaus zum Löwen, von den Einheimischen und Insidern auch LEO genannt. Neben der preiswerten Logis zeichnete sich das Etablissement durch zwei weitere Vorzüge aus: die Thüringen Therme mit ihrer exzellenten Saunalandschaft in Laufweite und für mich weit wichtiger: der Zugang zum Tischtennis-Mekka des Ostens gleich über den Hof.

Um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Natürlich spiele ich nicht in der 1. Bundesliga, kann gleichwohl die Schnelligkeit der Ballkünstler des Post SV Mühlhausen fachkundig bewundern, weil ich im Tischtennis mit dem oberen Kreis-Niveaus mithalten kann und mich inzwischen mit der 6. Mannschaft, der sympathischen Alten-Herren-Riege des Clubs, anfreunden durfte.

Weit schwieriger als die Ortswahl war es, die Zeitslots frei zu räumen. Kurz nach Weihnachten bis hinein in die Mitte des Januars verschnauft das hektische Deutschland üblicherweise. Die Schreibtische werden aufgeräumt und es passiert nicht viel. Das ist genau die Gelegenheit, sich unauffällig vom sonstigen Tun freizumachen. Diese Perioden und ab und zu eine Woche zwischendurch verbrachte ich also in meiner Schreibstube, jetzt schon im dritten Jahr.

Als diese qualifizierte sich das Zimmer 207 heraus. Das Personal im Leo kannte irgendwann meine Affinität zu diesem Raum und meist ungefragt bekam ich die Schlüsselkarte mit der Aufschrift 207. Welche Besonderheit gibt es dort? Beim Eintreten fällt der Blick unweigerlich auf die Türme der Divi-Blasii-Kirche, in der Johann Sebastian Bach von 1707 bis 1708 angestellt war. Was als Zufall begann, bekam für mich später Bedeutung, als ich mir der Ziffernfolge bewusst wurde. Dem geneigten Leser ist es überlassen, sich bezüglich der Numerologie bzw. Zahlensymbolik, im weltweiten Web zu informieren. Und wie ein Schlag traf mich eines Tages eine andere Erkenntnis: 207 steht auch für 20. Juli!

Wer Aurelia & Adalwin liest, wird sich mit den Themen Rückführung und früheren Leben bzw. Reinkarnation konfrontiert sehen. Aus dieser Quelle hat für mich der Tag eine besondere Bedeutung und auch mit diesen Themen ist das Netz voll, sodass ich hier auf spezielle Links verzichte.

Zurück zur Schreibkammer! Das Ambiente ist schnell beschrieben: Ein Schrank, ein Bett, dazu ein kleiner Tisch mit Stuhl, ein Sessel und ein Kühlschrank, davon abgetrennt Toilette samt Dusche und selbst mitgebracht ein Wasserkocher für den Tee zum Nachdenken. Wenn ein Kapitel zu Ende war oder neue Ideen gefragt waren, machte ich einen Spaziergang zur Popperöder Quelle, um mich unter das alte Brunnenhaus zu setzen und dem göttlichen Strom anzuschließen.

Der Rest war schlichtweg Arbeit und Disziplin, auf die ich als ehemaliger Kapellknabe ja bestens konditioniert wurde. (Meine Jahre am KKI habe ich 2009 einmal in dem Buch „Aus einer Wurzel“ verarbeitet – falls sich jemand dafür interessiert und hier mein Beitrag (Gegen den Strom der Zeit_2009). Die kostbaren, meiner Familie gestohlenen Tage begannen gegen 5.00 Uhr und endeten mit dem Dunkelwerden. Dazwischen galt es, vier Seiten zu füllen.

Liest sich einfach: Vier Seiten und klingt nach nicht viel. Deswegen sei es genauer definiert. Eine DIN A4-Seite von mir umfasst 50 Zeilen mit jeweils ca. 85 Zeichen. Im Schnitt brauche ich zwei bis drei Stunden für ein solches Pensum. Ein wenig Zeit zum Recherchieren über das eine oder andere Detail oder Thema gehört auch dazu, genauso wie das Überlesen des Geschriebenen vom Vortag, verbunden mit der Daueraufgabe: Aufspüren von Wortwiederholungen. Zwölf Stunden intensive Beschäftigung lassen auf diese Weise den Tag verfliegen. Außer Frühstück und ein paar Tassen selbstgekochten Tees hält lediglich das schüchterne Klopfen der Damen vom Reinigungsgeschwader gegen Mittag für ein paar Momente den Fluss auf und in der Einsamkeit fallen die Wochenenden nicht auf bzw. unterliegen dem gleichen Rhythmus.

Was sich als ziemliche Mühe anhört – die es tatsächlich gelegentlich ist – gibt jedoch einiges zurück. Nach fünfzehn Jahren Routine als ITK-Consulter oder Gutachter belohnt das totale Abschalten vom Alltag voller Telefone, Server und Speicher oder Blitz- und Kabelschäden. Stattdessen: Eintauchen in eine andere Welt und, damit verbunden, Schöpferfreude, denn sie entsteht aus einem selbst heraus.

„Wann macht der das eigentlich?“ So mancher, dem ich das Buch inzwischen geschenkt habe, hat diese Frage ausgesprochen oder ich konnte sie in den verwunderten Mienen lesen. Nun, eine Antwort darauf ist ja in den vorherigen Abschnitten schon gegeben. Allerdings sind manche Kapitel auch außerhalb der Schreibstube entstanden. Zur Wahrheit gehört noch ein zweiter Teil: In unserem Haushalt ist ein großer Zeitfresser seit zwanzig Jahren verbannt: der Fernseher. Das schafft Freiräume, die ich verbunden mit der von der Mutter ererbten Lerchen-Natur im Sommer intensiv nutze. Wenn es dunkelt, fallen mir schnell die Augen zu. Vier oder fünf Stunden Schlaf reichen mir allerdings vollkommen aus, so dass ich bevor der Alltag zuschlägt, zwei bis drei Stunden für einen Ausflug in die Märchenwelt nutzen kann.

Das leitet zur nächsten Frage über, die mir oft gestellt wurde: „Wie kann man sich so etwas bloß ausdenken?“ Tja, gelegentlich war ich darüber selbst verwundert. Es gab jedenfalls nie einen Plot oder einen durchkomponierten Plan. Dennoch habe ich kaum etwas löschen oder umschreiben müssen. Im spirituellen Sinne würde ich die Antwort wie folgt formulieren: Wer offen und klar ist, dem schenkt sich ein Teil des universellen Wissens, das sich Bahn bricht. Eine Voraussetzung dafür ist Medienabstinenz.

Meine Frau und ich leben ein Motto: Kein Fernsehen, kein Radio-Hören, keine Zeitungen und (nur) notwendige Informationen begrenzt aus dem Internet. Damit weichen wir bewusst der ständigen Inbeschlagnahme unserer Gedanken durch die Medien aus, versuchen es jedenfalls. Heute glaube ich: Wer nicht ständig abgelenkt ist, der kann zum Gefäß werden, in das sich der Strom ergießt. Genau das ist mir jedenfalls häufig passiert. Interessanterweise kamen die Einfälle mit dem In-die-Tasten-Hauen mehrfach für mich selbst überraschend. Was als spontane Idee (Eingebung, Intuition) unter der Dusche oder am Frühstückstisch begann, wandelte sich gelegentlich beim Schreiben zu einer ganz anderen Story. Von Zeit zu Zeit beschlich mich der Eindruck, das Buch wollte geschrieben werden und mancher Kreis schloss sich nach drei Jahren von selbst.

Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen:
Die Ankunft Aurelias auf der Erde gehörte zum Ersten, was ich geschrieben habe. Als ich die Geschichte zu Papier brachte, kam mir vor allem in den Sinn, wie unser Nachzügler entstanden war. Eigentlich war die Kleine zu einem Zeitpunkt gezeugt worden, der nach medizinischer Lehrmeinung die Entstehung von Leben nicht zuließ. Es war ein Sonntag-Morgen und im Raum lag eine Stimmung wie zu Heiligabend nach der Christmette vor der Krippe. Weihevolle Stille, hohe Schwingung, besondere Energie und es war zu spüren gewesen, dass jemand angekommen war. Mit der fliegenden Scheibe wollte ich anfangs bloß für dieses Erlebnis eine Metapher geben. Im fünften Teil und nach einer gründlichen Beschäftigung mit dem Alten Ägypten und insbesondere den Ideen von Axel Klitzke fügte sich plötzlich der Bogen zu Atlantis zusammen und das bildhafte Gleichnis erfuhr eine Wendung ganz so, als wäre es von Anfang an „geplant“ gewesen.

Hier das zweite Exempel: Im zweiten Band entreißen Aurelia und Parsidia dem Zwergenkönig den blauen Brillanten in einer militärischen Auseinandersetzung mit den Zwergen. Beim Frühstück war mir der Einfall gekommen, die beiden Heldinnen würden dafür in eine Art meditativen Tanz verfallen, verbunden mit der Wirkung des grünen Tropfens, der ja in meinem Märchenroman dem Besitzer vollkommene Klarheit schenkt. Doch der Gedanke, Kampf und Meditation zu verbinden, war und blieb in sich ein Widerspruch, wollte mir deshalb nicht wirklich gefallen. Und dann geschah es. Während ich die Tastatur bediente, geriet die Episode fast ohne mein Zutun in anderes Fahrwasser und die Geschichte bekam eine viel bessere Pointe bzw. Lösung des Problems, wie sich die Amazonen letztlich durchsetzen. Falls jetzt jemand neugierig geworden ist – der Blaue Brillant soll im März 2016 erscheinen.