Kapitel 6 – Adalwin findet seine Waffen und erfährt von der Legende der Turkannen (Uralte Legenden)


Auch das sechste Kapitel steckt voller historischer Bezüge und wurde von persönlichen Erlebnissen inspiriert, auf die hier einige Schlaglichter geworfen werden sollen.

Gülgerüs Söhne sind kurz vor dem Mannesalter und bei den Herrschern des Steppenvolkes lebt die Tradition, an der Schwelle zum Erwachsenwerden eine Phase der Einkehr und Selbstfindung einzulegen. Aus diesem Grund reitet der Großkhan mit seinen Sprösslingen an die Südgrenze seines Reiches bis an den Fuß der Bergketten, die dort eine natürliche Barriere zu Achasien sprich Asien bilden, und schickt das Duo in die Gebirgswelt. Zuvor lässt er einen Teil der Historie seines Volkes lebendig werden und erklärt, weshalb die Landschaft mit ihren Schluchten und Gipfeln als heilig angesehen wird: Dies fußt auf der Verwandlung eines Mannes zum Seher und Heiler nach längerem Aufenthalt dort, der mit den früheren Bewohnern des Massivs zusammentraf. Die nordischen Recken werden das erste Mal erwähnt.

Dem historisch bewanderten Leser wird möglicherweise durchschimmern, wer mit den blonden Hünen gemeint ist: die Waräger, Wikinger, alten Schweden. Die streitbaren Bootsfahrer aus Skandinavien (einer plausiblen Theorie nach soll wohl das finnische „Routsi“ für Ruderer die Wurzel für „Rus“ und damit die Bezeichnung für die Wikingerfürsten geliefert haben, die einst die Kiewer Rus gründeten). Der Kaiser von Byzanz, Baileios II., durfte sich einer Warägergarde rühmen. 6000 Krieger mit Streitaxt erhielt er im Gegenzug für die Hand seiner Schwester, die ihm Macht und Landgewinne bescherten. Von diesen tätowierten Elitesoldaten ist auch die Tradition der gegenseitigen Treueschwüre übermittelt, so wie sie für ihre Loyalität gerühmt wurden. Wer mehr darüber wissen will: Das Stichwort „Waräger“ fördert in einschlägigen Suchmaschinen reichlich Stoff zutage.

Zurück zu der Geschichte! Die Jünglinge ziehen jeder für sich los und Adalwin gelangt zu einem paradiesischen Ort, in dem ein „Ossi“ sicherlich die Sieben Seen im Rila-Gebirge wiedererkennen kann. Ein magisches Fleckchen Erde, in jenem kleinen Teil der Welt gelegen, den wir bereisen durften. Was dem Alamannen passiert, habe ich selbst erlebt. Wir kamen durchgefroren vom Wind an dem „Auge“ an, dem zweithöchsten und tiefsten der sieben eiszeitlichen Gewässer und mich zog es, nachdem das Feuerchen knackte, unwiderstehlich in das tiefblaue Nass. Ein Kopfsprung – und ich war meines Körpergefühls ledig. Der Gletscherausläufer mochte das Wasser auf höchstens acht Grad abgekühlt haben. Welche Woge an Lebensgefühl nach dem Bad durch die Adern brandete, habe ich im Anschluss genossen. Den Schlafsack hätte ich in dieser Nacht lange nicht gebraucht, so pulsierte die Wärme durch meinen Leib.

In der Folgezeit versenkt sich Adalwin in die Stille, Schönheit und besondere Energie seines Umfeldes, meditiert, musiziert und wird von der Reinheit und ätherischen Wirkung des Sees beschenkt. Die nächste Episode erzählt, wie der Einsame kurz vor dem Vollmond, an dem er zum Aufbruch rüsten soll, in eine Grabhöhle stürzt. Kein Zufall, wie die Präsenz Gaias schnell verdeutlicht, welcher der Halbwüchsige nun zum dritten Mal teilhaftig wird. Mutter Erde rät, das Geheimnis von dem bestatteten Helden zu hüten. Die prachtvolle Bewaffnung soll sicher verborgen auf ihn warten.

Mit den Flammen am letzten Abend überfällt den Jüngling das Heimweh. Außerdem wallt innerer Widerstand in ihm auf. Er wurde zu etwas berufen, ohne gefragt zu werden. Die Musik erweist sich als Trösterin und besänftigt den Aufruhr der Gefühle. Ihm erwächst mit dem Meteoritenregen ein Zeichen der Hoffnung, dem sich am Morgen ein weiteres anschließt: Der Vorsteher der Gnome überreicht ihm ein Paar der magentafarbenen Verbindungssteine.

Der Berggeist ist auch einen kurzen Schwenk wert. Zum einen wollte ich auf einen Umstand aufmerksam machen, den wir kaum mehr zur Kenntnis nehmen: Wir existieren nicht allein auf dieser Welt, wenngleich wir auch manche Lebensform nicht zu erfassen vermögen. Um uns herum sind die Elfen, Gnome, Zwerge und sonstigen Naturgeister nichtsdestotrotz vorhanden. Adalwin wird zum Abschluss seiner Zeit am See diese Erkenntnis zuteil, die zugleich Ausdruck seiner gewonnenen geistigen Reife sein soll.

Zweitens klingt mit der Beschreibung eine meiner Reminiszenzen in der Märchentrilogie an den „herrlichen sächsischen Lügenbold aus Hohenstein-Ernstthal“ an (schöner als Herrmann Kant in der Aula konnte es wohl keiner beschreiben (http://karl-may-wiki.de/index.php/Hermann_Kant). Wer auch „tausendundeine Nacht voller Pulverdampf und Hufedonnern“ genossen hat, der wird Sam Hawkens mit seinem charakteristischen „hihihi“ gewiss identifizieren können.

Das Brüderpaar begegnet sich unterwegs und kehrt gemeinsam zurück, um vom Großkhan empfangen zu werden. Der erkennt sofort, dass die erwünschte Wirkung der Klausur bei seinen Zöglingen eingetreten ist. Überrascht ist er allerdings von Adalwins Mitbringseln, war er selbst doch schon geneigt, die Überlieferungen seines Volkes ins Legendenhafte zu verweisen. Die Verbindungssteine sind ihm Anlass, sein Wissen kundzutun. So erfahren wir mit dem staunenden Alamannen von Gundehar, dem König der Nordmänner, seinem mythischen Schwert Heidesachs, dem Untergang der blonden Recken und der Drachenkriegersaga, wie sie bei den Turkannen sich erhalten hatte. Außerdem wird ein uraltes Ritual gepflegt, welches die jungen Männer zu einer Art Blutsbrüderschaft verschweißt. Mir war dies aus mehreren Gründen wichtig. Einerseits, um wiederum die eigentlich unnatürliche Verbundenheit der beiden Adoleszenten plausibler herauszuarbeiten und andererseits, um den Gewissenskonflikt des Potentaten anklingen zu lassen. Gülgerü wird zum ersten Mal von der Ahnung eingeholt, der Ziehsohn wäre in spezieller Weise erwählt, besitze jedenfalls auch ohne die Legitimierung durch das Blut die Fähigkeiten eines Herrschers.

Zwei Aspekte sollen noch beleuchtet werden. Da ist zunächst der Name des Königs. Meine Begeisterung für das Nibelungenlied hat hier bei der Auswahl Pate gestanden. Gundehar erinnert an Gunther, den Machthaber zu Worms am Rhein, dessen schöne Schwester Kriemhield Siegfried heiratete und später die eigene Sippe aus Rache für den Mord an dem Xantener in der Etzelburg in den Tod lockte. Die Germanin Ildiko, so der Konsens unter den Forschern, mag das historische Vorbild gewesen sein, die in der Hochzeitsnacht ihrem Gatten Attila, dem Gebieter über die Hunnen, im Jahr 453 den Tod brachte.

Des Weiteren sind der Schwertname sowie die vorzügliche Eigenschaft der Klinge zu erwähnen. Dietrich von Bern erwarb nach dem Sieg über den Reisen Ecke das vom Zwerg Alberich geschmiedete Schwert Eckesachs, so wie Siegfried den Balmung sein Eigen nennen konnte. Generell war ja der Sachs bzw. Sax das einschneidige Hiebschwert der Germanen und Stifter der Titulierung meines Volksstammes. Irgendwie wollte ich mich an die berühmtesten Schwerter der deutschen Heldensagen anlehnen, wobei mir „Heidesachs“ in den Sinn kam, weil der christliche Kulturraum dazu neigte, alles Nichtchristliche als heidnisch abzustempeln und dabei die Kraft der alten Wurzeln schlicht ignorierte. Genau die ist es aber, die das Besondere unserer Kultur darstellt. Das verdrängte Germanentum und die Weisheit des Nordens gilt es m.E. neu unter dem Ballast der jüngeren Vergangenheit zu entdecken.

Generell wird Heidesachs durch seine einzigartige Schärfe zum Mythos qualifiziert. Die Überlegenheit der Ulfberth-Schwerter, die im frühen Mittelalter für Furore sorgten, hat mich dazu angeregt. In meiner Zeit als Dozent an der Handwerkskammer für Werkstoffkunde musste ich auch das Eisen-Kohlenstoff-Diagramm den angehenden Meistern näherbringen. Um dies halbwegs interessant zu gestalten, war die Beschäftigung mit den Schwertern in den Heldensagen bzw. der frühen fränkischen Handelsmarke Ulfberth ein guter Aufhänger, um bestimmte Wirkmechanismen zu erläutern. Bei Wikipedia lässt sich zu den legendären Stahlprodukten eine gute Zusammenfassung finden (https://de.wikipedia.org/wiki/Ulfberht). Und ein weiterer Umstand ist bei Heidesachs bedeutsam. Es ist seine extraordinäre Färbung. Das Grün weist auf den außerirdischen Ursprung. Es ist dasselbe Metall, was die Drachenhaut Furarius so unverletzlich für irdische Waffen macht und ebenso den Speer auszeichnet, den Aurelia später vom weißen Mönch erhalten wird.